Es kommt immer wieder vor, dass Postbot*innen Briefe und Zustellungen unterschlagen. 2007 beispielsweise wurde ein Mann in Frankfurt am Main festgenommen, weil er ein Jahr lang keine Post mehr zugestellt und mehr als 20.000 Briefe zu Hause gelagert hatte. In Zeiten von E-Mail und WhatsApp tritt die Post natürlich als Überbringerin von persönlichen Nachrichten in den Hintergrund und dient meist zum Zusenden von geschäftlichen Korrespondenzen, Rechnungen und von Bestellungen. Heute bringt die Post also hauptsächlich erfreuliche Päckchen oder unangenehme Nachrichten. Die neuen Maßnahmen zur Kontrolle von Post aus dem Ausland in China werden wohl den Anteil der unangenehmen Nachrichten stark erhöhen und den der Päckchen deutlich reduzieren.

Nachdem eine Einwohnerin Beijings am 15. Januar 2022 positiv auf Corona getestet, ihr Verhalten der letzten zwei Wochen analysiert und der Öffentlichkeit bekanntgemacht worden war, stellte Pang Xinghuo, die stellvertretende Leiterin des Pandemiepräventionszentrums in Beijing, fest, Frau Sun habe sich durch einen Brief aus Kanada infiziert.

Nun war Pang Xinghuos Theorie nicht aus der Luft gegriffen, sondern fiel in China auf fruchtbaren Boden. Schon von Beginn an schottete sich China mit der Parole „haltet die Übertragung aus dem Ausland auf“ streng ab. Außerdem erlebten die Hygieneregeln für die Post insgesamt sieben Auflagen. Die letzte, die im August 2021 veröffentlicht wurde, unterstrich, dass unbedingt verhindert werden müsse, den Coronavirus über Postzustellungen zu übertragen, und dass das mit internationaler Post in Kontakt kommende Personal besonders strengen Hygieneauflagen unterliege. Gegen Ende 2021 betonten einige Städte, wie zum Beispiel Shanghai, dass angesichts des kommenden Frühlingsfestes Postzustellungen besonders genau auf Corona hin kontrolliert werden müssten. Ein für die KPCh über ihre ganze Geschichte charakteristische Annahme, nämlich dass alles Schlechte letztlich von außen kommt, paart sich also mit einer sehr ausgeprägten Angst vor Coronaansteckungen, und dies bildet einen fruchtbaren Nährboden für die zugegebenermaßen recht abwegigen Maßnahmen gegen Covid-19 in internationale Postsendungen.

Internationale Expert*innen sind sich demgegenüber sicher, dass Postzustellungen kein Übertragungsweg für Corona sind. Nach dem U.S.-amerikanischen CDC liegt die Übertragung von Corona über Oberflächen schätzungsweise bei nur 1 von 10.000 Fällen und auch überlebt das Coronavirus dort nicht lange. Auf porösen Oberflächen kann es schon nach wenigen Minuten nicht mehr nachgewiesen werden und auf nicht-porösen Oberflächen sind es maximal 72 Stunden. Auch gibt es Zweifel an den Laborexperimenten, die die Lebensfähigkeit des Coronavirus auf Oberflächen nachweisen sollen, und generell steht nach Expert*innen zu befürchten, dass durch das Blockieren des postalischen Übertragungsweges von echten Ansteckungsgefahren abgelenkt werde.

Nichts von dem verringert den Ernst, mit dem sich die chinesischen Behörden diesem Problem stellen. Unmittelbar nach Pang Xinghuos Pressekonferenz ließ die chinesische Post verkünden: „Die Maßnahmen unter dem Titel ‘haltet die Übertragung aus dem Ausland auf’ werden streng umgesetzt.“ Das heißt, erstens, internationale Postzustellungen werden an den Annahmestellen sofort desinfiziert. Dann liegen sie eine Weile ab und derweil werden die notwendigen Bescheinigungen zu eben jener Desinfektion ausgefüllt. Darüber ist außerdem ein Register zu führen. Das Personal, das die internationale Post abfertigt, unterliegt auch strengen „social distancing“ Auflagen und wird regelmäßig getestet. Schließlich werden die Briefe vor dem Zustellen nochmals desinfiziert. Die Empfänger*innen sind dann von den Postbot*innen darauf hinzuweisen, bei der Entgegennahme Maske und Handschuhe zu tragen und die Post von innen und außen zu desinfizieren. Besondere Vorsicht ist bei Zustellungen geboten, die aus Ländern mit hohem Coronarisiko kommen.

Aber auch die Postempfänger*innen müssen sich wappnen. In Xi’an empfiehlt die Stadtregierung, weniger Waren aus dem Ausland zu kaufen. Beim Empfang von Post aus dem Ausland sollen Maske und Handschuhe getragen werden, und man soll die Post nicht direkt von den Bot*innen, sondern aus Postboxen entgegennehmen. Die Post soll im Freien geöffnet werden. Der Umschlag ist sofort zu entsorgen. Die Sendung ist unmittelbar zu desinfizieren (außen und innen) und nach dieser Abfertigung sind Handschuhe und Maske sogleich wegzuschmeißen. Die Hände sollen gewaschen werden, um nicht mit dreckigen Händen Mund, Augen oder Nase zu berühren. 

Manche Städte gingen sogar noch weiter. Zum Beispiel wurde die chinesische Corona-App in Shenzhen nach Erhalt einer internationalen Sendung sofort gelb. Die Betroffenen wurden dann sofort angerufen oder erhielten eine SMS, die sie dazu aufrief, sich testen zu lassen. Einer, dessen Corona-App auf gelb schaltete, ging sofort zu einem Testzentrum. Er stellte fest, dass fast alle dort Anstehenden Postzustellungen aus dem Ausland bekommen hatte. Einer anderen Person wurde ein Paket zwar zugesendet, das sie aber noch nicht abgeholt hatte, als ihre Corona-App auf gelb schaltete und sie zu Quarantäne und einem Test aufgerufen wurde. 

Doch was sind die Kosten solcher Maßnahmen? Zunächst sind sie eine Belastung für jede*n Einzelne*n und für die jeweiligen Verwaltungen. Es scheint so, dass die chinesische Regierung in der Coronabekämpfung so operiere, als ob unendlich viele Ressourcen zur Verfügung ständen. Ob dies im Ganzen sinnvoll ist, muss Thema eines anderen Artikels sein, aber im Fall von Postzustellungen ist ziemlich klar, dass dies nicht so ist. Auch wirken sich diese Maßnahmen und ständigen Warnungen auf den Konsum aus. Beispielsweise berichten die Bürger*innen von Angst, Produkte aus dem Ausland zu kaufen, und es ist wahrscheinlich, dass Bestellungen aus dem Ausland, also vor allem Süd-Korea und Japan, einbrechen werden.

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