In dem Lied 玻璃心 („Fragile“) des malayischen Sängers Namewee und der taiwanischen Sängerin Kimberley Chen heißt es, „ich verstehe nicht, wie ich dich beschämt haben könnte, aber du denkst immer, dass die Welt gegen dich ist.“ Gerichtet ist dieser Satz an eine fiktive Pandaperson, die allem Dafürhalten nach für China steht oder wenigstens stehen kann. Da sie in dem Lied noch mit allerlei anderen schlechten Eigenschaften bedacht wurde, schritten die Propagandaabteilung der KPCh und die Netzkontrollbehörde Chinas sogleich zur Tat und blockierten das Video zu „Fragile“ in Festlandchina, nachdem es schon in den ersten Wochen auf Youtube zu über drei Millionen Klicks gekommen war. Namewee und Kimberley Chen haben also zielsicher einen Nerv getroffen und dessen Bahn erstreckt sich bis in die Thinktanks zur chinesischen Außenpolitik.
Am 20. Dezember fand eine Konferenz des China Institute of International Studies (CIIS) und der Chinese Foundation for International Studies zu den internationalen Beziehungen Chinas statt. Dort sprach unter anderem der ehemalige Botschafter in den USA und Japan und ehemaliger stellvertretender Außenminister Cui Tiankai. Die Zeitung Caixin veröffentlichte eine Synopsis seines Vortrages. Dort forderte er, oft eng an Xi Jingpings Reden oder an die dritte Resolution zur Geschichte angelehnt und stets in Bezug auf die Beziehungen zwischen China und den USA, dass China kämpferischer auftreten müssen. Es müsse stets in Erinnerung behalten, dass es ein großes Land sei, und Cui diagnostizierte, dass die USA den Aufstieg Chinas niemals dulden würden und dass sie China, auch aus rassistischen Motiven heraus, stets bekämpfen würden. All dies kulminierte in dem Satz: „Manche unter unseren Feinden sind extrem egoistisch und haben kein Gewissen, aber wir, die KPCh, haben Ideale, Wissenschaft, einen offenen Geist, eine noble Geisteshaltung; wir müssen sie nicht nur in der Praxis, sondern auch menschlich besiegen.“
Das Schriftzeichen fen 奋 (traditionell 奮) steht auch wie kein anderes für die Cui Tiankais Vortrag prägende kämpferische Rhetorik. Ursprünglich bedeutet es (Flügel) aufschlagen, rütteln, hochheben, erzittern, aber auch vor Zorn oder bis zum Äußersten erregt sein. Fen deckt also ein Spektrum von zornerfüllter geistiger Erregung bis hin zu einer tatsächlichen Handlung ab. Vor allem aber kommt fendou 奋斗 (kämpfen) ständig vor. Dieser Aspekt ist besonders relevant, wenn ein zweisilbiges Wort gewählt wird, für das es auch ein nicht oder nur schwach mit Zorn und Kampf konnotiertes und somit auch weniger kämpferisches Synonym gibt. So wird zum Beispiel stets fenli 奋力, seine ganze Kraft einsetzen, anstatt von jinli 尽力 oder fenfa 奋发, sich für etwas verausgaben, anstatt von zhenzuo 振作, verwendet. Durch das Schriftzeichen fen schleicht sich also eine zornerfüllte und kämpferische Dimension in den Diskurs ein, durch die zudem noch ein Appell zum Ausdruck kommt, die „richtige“ und vor allem nationalistische geistige Haltung einzunehmen.
Dieser Diskurs durchzieht die dritte Resolution zur Geschichte der KPCh, die Cui Tiankai unermüdlich zitiert. In dieser Resolution finden sich Phrasen oder Sätze wie „um den chinesischen Traum der großartig wiederauferstandenen chinesischen Nation zu realisieren, kämpfen wir unermüdlich“, „in den vergangenen hundert Jahren haben wir großartige Siege errungen“, „Generation um Generation haben die Kader der KPCh weiter gekämpft“, „der Kampf gegen die Korruption“, „Die KPCh muss die Blutsverwandtschaft mit dem Volk für immer bewahren (…) sich zusammenschließen und den Kampf aller Ethnien in China für ein gutes Leben fortführen“, „der Geist der Partei, des Militärs und des Volkes ist vereint und leidenschaftlich wie nie zuvor“ und so weiter. Demgegenüber scheint die rhetorische Figur des „friedlichen Aufstieg“ Chinas eher wie Makulatur. Auf den ganzen Text der dritten Resolution gesehen zeigt sich eine beunruhigende Tendenz. In den frühen Passagen zur Gründung der KPCh und zur Herrschaft von Mao Zedong spielt der Begriff „Kampf“ eine entscheidende Rolle. In den darauf folgenden Passagen zur Reform- und Öffnungspolitik kommt er fast gar nicht vor und stattdessen rückt „Aufbau“ 建设 ins Zentrum. Die Beschreibung zu China unter Xi Jinping, die den Löwenanteil des Textes einnimmt, und vor allem in Abschnitten, die man als Fazit bezeichnen könnte, rückt „Kampf“ erneut ins Zentrum. Das China seit 2012 versteht sich also zunehmend als kämpferisches und kehrt in diesem Sinne zur Zeit Maos zurück.
Zu dieser Einschätzung gesellen sich vor allem seit der Covid-19 Pandemie einige Gedanken hinzu, die zusammengenommen in einer recht besorgniserregenden Tendenz kulminieren. Beispielsweise hat Xi Jinping seit Januar 2021 die Phrase „der Aufstieg des Ostens und der Niedergang des Westens“ immer wieder betont. Zudem prägte er im April 2020 auch die ungeschickt-altbackene Phrase „die Größe der (chinesischen) Nation“ 国之大者, die sich jeder auf ewig einprägen und hegen solle. In der dritten Resolution zur Geschichte wird außerdem die Einheitsfront auf den nationalen Zusammenhalt umgedeutet. Es solle ein einheitlicher Geist in China herrschen. Und schließlich sind sowohl Xi Jinpings Reden und Texte sowie Cui Tiankais Vortrag geprägt von dem Gedanken, dass China von Feinden umgeben sei. Sie werten Unannehmlichkeiten emotional auf und machen sie zum Affront. Für sich genommen mögen diese Aspekte vielleicht nicht so bedenklich erscheinen, aber zusammen formen sie eine Echokammer.
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